Einführungsreferat von Prof. Dr. Jürgen Lütt: Making of the Mahatma - Gandhis Leben in Süd-Afrika
Gandhis Zeit in Südafrika wird in allen populären Darstellungen seines Lebens behandelt. Es ist allgemein bekannt, daß die Inder in Südafrika diskriminiert wurden und daß sich Gandhi für sie eingesetzt hat. Spektakuläre Vorfälle wie die Vertreibung aus dem Zug in Pietermaritzburg oder das Verbrennen der Pässe werden immer wieder mehr oder weniger dramatisch dargestellt, ganz eindringlich z.B. in Richard Attenboroughs Gandhi-Film von 1983. Aber wenn man genauer hinsieht, erweisen sich die Verhältnisse in Südafrika doch als ziemlich kompliziert. Worum ging es eigentlich genau? Wer waren die Akteure außer Gandhi? Was war Gandhis Position im Geflecht der südafrikanischen Politik? Im folgenden will ich versuchen, diese Fragen knapp zu beantworten.
Die indische Einwanderung nach Südafrika
a. Buren und Engländer
Als Gandhi im Jahre 1893 nach Südafrika kam, traf er dort auf eine indische Gemeinde, die es schon seit 1860 gab, genauer gesagt: es gab sie in Natal. Denn was heißt Südafrika? Ein einheitliches Südafrika gibt es erst seit 1910, als die Union of South Africa als britisches Dominion gegründet wurde. Bis dahin bestand Südafrika aus vier verschiedenen Einheiten: 1. die Kapkolonie am Kap der Guten Hoffnung, 2. Natal, 3. Transvaal, und 4. den Oranje Freistaat. Alle vier Einheiten waren Staaten, die ursprünglich von Buren gegründet worden waren, aber im Laufe des 19. Jahrhunderts von den Briten erobert und in ihr Kolonialreich eingegliedert wurden. Gandhi und die übrigen Inder in Südafrika hatten es also sowohl mit den Buren als auch mit den Engländern zu tun. Und es gab eine vierte Volksgruppe: das waren die Schwarzen, speziell die Zulus.
Die Buren waren holländische Siedler ("Bauern"), die sich Mitte des 17. Jh. am Kap der Guten Hoffnung niedergelassen hatten. Im Zuge der Napoleonischen Kriege eroberten die Briten die Gegend um das Kap der Guten Hoffnung und machten sie zu einer britischen Kolonie. Die Buren zogen daraufhin nach Norden ins Landesinnere und gründeten schließlich 1840 die Republik Natal. Aber die Briten folgten ihnen, eroberten Natal und machten es 1843 zu einer britischen Kolonie. Wieder zogen die Buren weiter und gründeten zwei neue Republiken: Transvaal (1852) und Oranje Freistaat (1854). Man könnte die ganze Geschichte Südafrikas im 19. Jahrhundert so charakterisieren: Die Briten dringen vom Kap her immer weiter in Afrika vor, die Buren weichen aus bzw. fliehen vor ihnen, aber werden immer wieder eingeholt, bis sie schließlich nach dem sog. Buren-Krieg 1899-1902 ganz von den Briten eingeholt, besiegt und beherrscht werden. In der Auseinandersetzung zwischen Buren und Engländern stießen nicht nur zwei (in mancher Hinsicht ja sehr verwandte) Völker zusammen, sondern zwei sehr verschiedene Welten bzw. Zivilisationen: Die Buren waren in einem strengen calvinistischen Protestantismus des 16. Jahrhunderts befangen, wir würden sie heute christliche Fundamentalisten nennen, die Engländer repräsentierten die Moderne, einen dynamischen Kapitalismus in seiner brutalsten Form. In den Worten Theodor Mommsens: Es war ein Konflikt zwischen dem 16. Jahrhundert und dem 20. Jahrhundert. Mitten hinein in diesen Konflikt gerieten die Inder.
Die Buren wollten für sich bleiben, daher wollten sie auch keine Inder in ihrem Lande dulden. Wenn es in Transvaal doch Inder gab, dann waren sie ihnen von den Engländern aufgezwungen worden. Die Ablehnung der Inder durch die Buren beruhte auf religiösen Gründen. Gandhi erzählt in seinem Buch "Satyagraha in South Africa" folgende Anekdote: Als eine indische Delegation sich bei dem Führer der Buren Ohm Krüger über die Diskriminierung beklagte, antwortete dieser:
"You are the descendants of Ishmael and therefore from your very birth bound to slave for the descendants of Esau. As the descendants of Esau we cannot admit you to rights placing you on an equality with ourselves. You must rest content with what rights we grant to you."(Satyagraha in South Africa 33).
Aber wieso gab es überhaupt Inder so fern ihrer Heimat? Weil die Engländer sie in ihre südafrikanischen Kolonien geholt, wo sie sie als Arbeitskräfte brauchten.
b. Die indischen Kontraktarbeiter in Natal
Im Jahre 1860 kamen die ersten indischen Kontraktarbeiter nach Natal. Bis 1911 sollten etwa 150.000 Inder nach Natal einwandern (Maureen Swan, Gandhi - The South African Experience, Johannesburg 1985, S. 28). Ihre offizielle Bezeichnung lautete:
Indentured Labourers (indenture=Kontrakt, Arbeitsvertrag), aber populär wurden sie mit verächtlichem Unterton "Kulis" genannt.
Die Kontraktarbeiter arbeiteten zu 75% in der Landwirtschaft, nämlich auf den Zuckerrohr-, Tee- und Kaffeeplantagen, der Rest im Bergbau, im Haushalt und in der Industrie. Ein Kontraktarbeiter mußte sich auf 5 Jahre verpflichten und wurde einem europäischen Pflanzer zugewiesen. Wer vor den 5 Jahren unerlaubt seinen Posten verließ, machte sich strafbar und mußte mit Gefängnis rechnen.
Diejenigen Inder, die nach 5 Jahren, wenn ihr Kontrakt abgelaufen war, beschlossen, in Südafrika zu bleiben, hießen ex-indentured Indians, populär colonials. Sie genossen nicht die gleichen Rechte wie die "freien Inder" (free Indians), die man auch passengers nannte, weil sie ihre Schiffspassage von Indien nach Südafrika selbst bezahlten. Die ex-indentured Indians brauchten einen Paß, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Heiraten mußten beim Protector of Indian Immigrants registriert werden.
Die Anwesenheit der indischen Kontraktarbeiter führte bald dazu, daß sich eine ganze indische Infrastruktur um sie herum bildete. Indische Klein- und Großhändler; außerdem sog. Professionels: Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten, Redakteure. Das waren die oben genannten "Free Indians" Um es noch einmal zusammenzufassen: Es gab drei Kategorien von Indern in Natal: Kontraktarbeiter, ehemalige Kontraktarbeiter und Freie Inder.
Um einen Eindruck von den Zahlenverhältnissen zu geben, seien die Zahlen für 1911 in Natal genannt: Auf ca. 40.000 Europäer kamen ca. 60.000 indische Kontraktarbeiter, ca. 10.000 ex-indentured labourers, ca. 10.000 freie Inder und etwa 400.000 Zulus.
Politisch aktiv waren unter den Indern sehr wenige: In Natal nie mehr als 2000.
Die anti-indischen Gesetze in Natal und im Transvaal und Gandhis Kampf dagegen
Bekanntlich war Gandhi 1893 nach Natal gerufen worden, um einer dort tätigen indischen Firma bei der Lösung eines speziellen Streitfalles juristisch zu helfen. Nach Erledigung dieses Falles wollte Gandhi wieder nach Indien zurückkehren. Aber kurz vor seiner Abreise erfuhr er von einem Gesetz, das am 25. April 1894 angekündigt wurde: Es trug den Titel The Indian Franchise Amendment Bill.
Laut dieser Gesetzesvorlage sollte in Zukunft - außer den etwa 300 Indern, die schon das Wahlrecht besaßen - kein weiterer Inder das Wahlrecht in Natal bekommen. Wörtlich hieß es u.a.: "No persons belonging to Asiatic races not accustomed to the exercise of franchise rights under parliamentary institutions" sollten zukünftig wählen dürfen. (Nebenbei bemerkt: Es ist von Asiatics die Rede, nicht von Indern). Also weil die Inder zu Hause in Indien kein Wahlrecht hätten, sollten sie es auch in Natal nicht bekommen, das war die Begründung des Gesetzes. In der Tat gab es ja zu jener Zeit in Indien so gut wie kein Wahlrecht.
Es war diese Gesetzesvorlage (Bill), die Gandhi veranlaßte, in Südafrika zu bleiben. Tatsächlich bedeutete das den Einstieg Gandhis in die Politik.
Die erste Folge der Franchise Amendment Bill war auf indischer Seite die Bildung einer politischen Interessenvertretung, des Natal Indian Congress, außerdem wurde die Zeitung Indian Opinion gegründet. Der Natal Indian Congress war eine feste Organisation, nur wer drei Pfund pro Jahr einzahlte, konnte Mitglied werden. Das zeigt schon, daß es eine Interessenvertretung der wohlhabenden indischen Geschäftsleute war, die übrigens hauptsächlich aus Gujarat stammten, die meisten waren Muslime und wurden daher von den Weißen Araber genannt. Gandhi führte eine Delegation zum Gouverneur an, die eine Petition gegen die Bill mit 9000 Unterschriften überreichte.
Gandhi begründete seine Forderung nach gleichen Rechten für Inder und Weiße mit der Proklamation Königin Victorias, die sie 1858 nach dem Indischen Aufstand, der "Mutiny", an das indische Volk gerichtet hatte. Darin war den Indern versprochen worden, daß es in Zukunft von Seiten der britischen Regierung keine Diskriminierung der Inder geben werde. Auch in Natal als einer britischen Kolonie fühlte sich die britische Regierung an die Proklamation von 1858 gebunden. Es gab allerdings eine große Diskrepanz zwischen der Stimmung der weißen Siedler in Südafrika, welche anti-indisch eingestellt waren, und der Regierung, die sich an ihre Verpflichtung gebunden fühlte. Das zeigte sich z.B., als Gandhi die Zulassung als Rechtsanwalt am Supreme Court von Natal beantragte. Die Law Society, die Vertretung der weißen Rechtsanwälte, lehnte seinen Antrag ab. Aber das Gericht wies diese Ablehnung zurück. "The Law makes no distinction between white and coloured people".
Die indischen Geschäftsleute waren hauptsächlich daran interessiert, ihre privilegierte wirtschaftliche Position zu erhalten. Wenn sie gegen Diskriminierungen protestierten, taten sie das als eine Klasse, nicht als Inder. In ihren Eingaben bezeichneten sie sich als "desirable citizens" (Swan S. 63) "respectable Indians, those suffering the non-recognition of the just place of the better class.". Sie waren sehr darauf bedacht, sich nicht nur von den schwarzen Afrikanern abzusetzen, sondern auch von ihren niedrig-kastigen und armen Landsleuten, also den Kontraktarbeitern. Das sieht man auch daran, daß der Natal Indian Congress, als im Jahre 1895 eine sog. Kopfsteuer (Immigration Amendment Law Bill) für die Ex-Indentured Labourers eingeführt wurde, nichts dagegen unternahm. Drei Pfund sollte jedes erwachsene indische Familienmitglied im Jahr bezahlen, also eine vierköpfige Familie 12 Pfund, was dem Verdienst eines Kontraktarbeiters von 6 Monaten entsprach. Gandhi handelte in dieser Zeit als Anwalt der Geschäftsleute, er war damals noch nicht der eigenständige Führer aller Inder.
Bis zum Ende der 90er Jahre konnten Gandhi und der Natal Indian Congress nichts an den diskriminierenden Gesetzen ändern. Für 1901 hatte Gandhi schon seine Rückkehr nach Indien geplant - aus Resignation darüber, daß in Südafrika offenbar nichts zu ändern sei. Aber da brach der Burenkrieg aus. Die Briten führten den Krieg gegen die Buren u.a. mit dem Argument, in der Burenrepublik Transvaal würden die Inder diskriminiert.
Tatsächlich gab es im Transvaal schon seit 1885, also lange vor Gandhis Ankunft in Südafrika, ein anti-indisches Gesetz, das sog. Gesetz Nr. 3 ("Law 3 of 1885"). Es besagte, daß jeder Inder, der sich im Transvaal niederlassen wollte, um Handel zu treiben, sich für 25 Pfund registrieren lassen mußte. Kein Inder durfte Land erwerben oder die Staatsbürgerschaft bekommen. Auf Druck der Briten war das Gesetz 1886 etwas gemildert worden: die 25 Pfund wurden auf 3 Pfund reduziert. Inder durften jetzt festes Eigentum in solchen Gebieten erwerben, welche ihnen von der Regierung des Transvaal extra zugewiesen wurden. Solche Gebiete waren meistens unattraktiv und lagen weit außerhalb der Städte. Es gab dort keine Wasser- und Stromversorgung, keine hygienischen Vorkehrungen. Gandhi kommentierte das später mit einem Vergleich: "Thus the Indians became the Panchamas of the Transvaal". Panchama (wörtlich: der fünfte (varna)) ist eine euphemistische Bezeichnung für die "Unberührbaren" in der hinduistischen Kastengesellschaft. Dieser Ausspruch Gandhis verweist schon auf sein späteres Engagement für die Unberührbaren in Indien.
Im Burenkrieg bot Gandhi den Briten indische Hilfe an. Er wollte damit seine und der Inder Loyalität gegenüber dem Britischen Weltreich unter Beweis stellen und damit zeigen, daß die Inder vollwertige Bürger des Britischen Weltreichs seien.
"I felt that, if I demanded rights as a British citizen, it was also my duty, as such, to participate in the defence of the British Empire. I held then that India could achieve her complete emancipation only within and through the British Empire. An dieser Argumentation hielt Gandhi übrigens bis 1920 fest. Erst auf Grund bestimmter Ereignisse des Jahres 1920 wurde er "vom Loyalisten zum Rebellen".
Als die Briten der Republik Transvaal den Krieg erklärten, ließen führende britische Politiker verlauten, eine der Ursachen des Krieges sei "the scandalous treatment accorded to the Indians by the South African Republic". (Satyagraha in South Africa, Ahmedabad 1928, S. 33) Nach einem britischen Sieg über die Buren glaubte also Gandhi Grund zu der Hoffnung zu haben, daß die anti-indischen Gesetze im Transvaal aufgehoben würden. Aber er sollte bitter enttäuscht werden.
Gandhi und die Wende von 1906
Nachdem die Briten die Buren besiegt hatten, steuerten sie ihnen gegenüber einen Versöhnungskurs, d.h. sie bemühten sich, auf ihre Wünsche und Ansichten Rücksicht nehmen. Dazu gehörte auch die anti-indische Einstellung. Nach langen Verhandlungen hinter den Kulissen wurde schließlich ein Gesetz angekündigt, das einen neuen Höhepunkt der Diskriminierung der Inder im Transvaal bedeutete. Offiziell hieß es "Asiatic Registration Act", aber bei den Indern wurde es bald "The Black Act", das Schwarze Gesetz, genannt.
Der "Black Act" vom 22. August 1906
Darin hieß es u.a.: "Every Indian, man, woman or child of eight years or upwards, entitled to reside in the Transvaal, must register his or her name with the Registrar of Asiatics and take out a certificate of registration." Der Antragsteller mußte nicht nur Namen, Adresse, Kaste, Alter usw. angeben, sondern auch einen Finger- oder Daumenabdruck hinterlassen. Wer das bis zu einem bestimmten Datum versäumte, verlor nicht nur sein Aufenthaltsrecht im Transvaal, sondern machte sich strafbar und mußte mit Gefängnis oder sogar Deportation rechnen. Der Pass mußte jedem Polizisten jederzeit vorgelegt werden. Als besondere Demütigung empfanden die Inder, daß Polizisten ihre Häuser betreten konnten, um sich die Pässe vorlegen zu lassen. (Satyagraha in South Africa, S. 99ff)
Gandhi kommentierte dieses Gesetz in seiner 1928 erschienenen Schrift Satyagraha in South Africa so: "I have never known legislation of this nature being directed against free men in any part of the world." (S. 100). Heute kommt uns das nicht so monströs vor wie damals Gandhi. In Deutschland sind wir schon lange gewohnt, einen Personalausweis mit uns herumzutragen, neuerdings verlangen die Amerikaner bei der Einreise von jedem einen Daumenabdruck. Selbst die Briten führen den Personalausweis ein. Es kommt eben auf den Zusammenhang an: Damals waren die Inder die einzigen, von denen diese Maßnahmen verlangt wurden, es war die Ungleichbehandlung, die den Zorn und die Empörung hervorrief.
Der Black Act war für Gandhi der Anlaß, seine besondere Methode des Widerstands zu entwickeln, die er später in Indien im großen Stil anwandte, und für die er bis heute berühmt ist.
Gandhis Methode des Widerstands wurde zunächst "passiver Widerstand" genannt, aber bald prägte Gandhi seinen eigenen Begriff dafür: Satyagraha, eine Sanskrit-Neuprägung, die wörtlich Festhalten an der Wahrheit heißt. Während der Begriff Passiver Widerstand nach Schwäche und Passivität klingt, soll im Begriff Satyagraha das aktive Moment betont werden. Die Wahrheit (satya) bedeutet Stärke, moralische Stärke. Es war auch von Soul Force, Seelenstärke, die Rede. Der Gegner sollte durch die Kraft der Wahrheit überzeugt werden und damit für die Sache der Satyagrahis gewonnen werden.
Gandhi gelang es, die politisch aktiven Inder für seine Methode zu gewinnen. Am 11. September 1906 ließ er sie in einer Schwurzeremonie im Empire Theater in Johannesburg feierlich geloben, gegen den Black Act zu kämpfen und sich dabei an seine Methode des Widerstands zu halten.
Da der Transvaal inzwischen englische Kronkolonie war, war London in dieser Angelegenheit letztlich zuständig. Gandhi reiste daher nach London, um das Gesetz an höchster Stelle zu verhindern. Tatsächlich versprach ihm der Kolonialminister Lord Elgin, die Zustimmung zum Gesetz zu verweigern. Aber vom 1. Januar 1907 an sollte dem Transvaal Responsible Government, d. h. Autonomie innerhalb des Britischen Empires übertragen werden. Ab dann würde die Regierung in London nichts gegen interne Maßnahmen der Regierung des Transvaal unternehmen können (und wollen). Salopp gesagt: Die britische Regierung schob den Schwarzen Peter zurück an die Buren. Gandhi nannte diese Politik "A Crooked Policy", eine verlogene Politik.
Am 21. März 1907 wurde der Black Act verabschiedet. Wie wichtig den Buren dieses Gesetz war, zeigt die Tatsache, daß es die zweite Maßnahme des neuen Parlaments des Transvaal war. Es trat am 1. Juni 1907 in Kraft. Gandhi nanne es A dog's collar, also eine Hundekette.
Am 1. Juni 1907 wurden die Registrierämter geöffnet. Gandhis Anhänger stellten sich davor auf, um registrierwillige Landsleute durch Überredung davon abzuhalten. Dabei schärfte Gandhi seinen Leuten ein, gegenüber den Beamten freundlich zu sein und die Registrierwilligen vor Angriffen zu schützen.
Bis zum 30. November hatten sich nur 500 registrieren lassen.
Es folgten die Prozesse, in denen einige Inder wegen der Übertretung des Black Acts stellvertretend angeklagt wurden. Zum Konzept des Satyagraha gehört, daß die Angeklagten sich nicht verteidigen, sondern sich von vornherein schuldig bekennen. Gandhi selbst wurde zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, weniger als die anderen. Er verlangte, daß er genauso hart bestraft würde wie seine Landsleute in Pretoria, die drei Monate Zuchthaus plus Geldstrafe bekommen hatten.
Jetzt machte Smuts, der frühere Burengeneral, inzwischen zuständiger Minister des autonomen Transvaals, einen Kompromißvorschlag: Wenn die Inder sich freiwillig registrieren ließen, würde die Regierung das Gesetz widerrufen. Als Gandhi Smuts in seinem Amt aufsuchte, sagte dieser, er habe Verständnis für die Inder, aber die Europäer wollten das Gesetz, vor allem die Engländer. Beide einigten sich auf den Kompromiß.
Unter den Indern gab es heftigen Widerspruch dagegen, daß Gandhi sich auf diesen "Kompromiß" eingelassen hatte. Die meisten waren der Meinung, daß das Gesetz zuerst hätte gestrichen werden müssen, erst dann hätten sich die Inder freiwillig registrieren lassen können. Gandhi antwortete darauf: Das wäre kein Kompromiß. "Unser Kampf ist nicht prinzipiell gegen die Regierung gerichtet, sondern zielt auf die Beseitigung des Stigmas, welches das Gesetz der indischen Gemeinschaft angehaftet hat. Ein Satyagrahi fürchtet sich niemals davor, seinem Gegner zu vertrauen, selbst auf die Gefahr hin, betrogen zu werden."
Gandhi setzte sich durch. Die Inder ließen sich freiwillig registrieren.
Sie wurden tatsächlich betrogen: - von Smuts und der Regierung des Transvaal: Smuts beging insofern Wortbruch, als er behauptete, daß nicht alle Inder sich freiwillig hätten registrieren lassen, weshalb er den Black Act nicht zurücknehme.
Nun wurden heftige Vorwürfe gegen Gandhi erhoben, er habe sich hereinlegen lassen, aber trotzdem setzte sich eine feste Entschlossenheit unter den Indern durch, den Kampf wieder aufzunehmen.
Die zweite Runde des Widerstandes
Die zweite Runde des Widerstandes bestand darin, daß die Inder nun die Pässe, die ihnen gerade ausgestellt worden waren, öffentlich verbrannten. Die Regierung reagierte nicht darauf. Sie war zufrieden damit, daß die Inder sich hatten registrieren lassen.
Aber es folgte noch ein weiteres anti-indisches Gesetz: The Transvaal Immigrants Restriction Bill von 1907. Auch dieses Gesetz wurde jetzt in den Satyagraha-Kampf mit einbezogen.
In Natal lebten mehrere Inder, die schon seit langem das Domizilrecht in Transvaal hatten. Sie wurden nun von Gandhis Leuten aufgefordert, die Grenze nach dem Transvaal zu überschreiten. Ein Trupp tat das, wurde verhaftet und ausgewiesen. Aber sie kehrten zurück. Darauf wieder Verhaftung und Abschiebung. Die anderen Inder wollten die Regierung dazu provozieren, sie zu verhaften. Sie wählten dafür zwei Methoden: Entweder trieben sie Handel ohne eine Lizenz oder sie betraten den Transvaal ohne Ausweis. Sie wurden prompt verhaftet, auch Gandhi. Im Volksrust-Gefängnis waren schließlich 75 Inder inhaftiert. Einige Inder wurden auch deportiert, d.h. an die Grenze gebracht, aber sie kamen zurück. Einige Inder wurden sogar nach Indien zurück geschifft.
Nach einiger Zeit ließ jedoch die Kampfmoral der Satyagrahis nach. Ein neues Problem tauchte auf: Engländer und Buren wollten einen höheren Status für ihre Kolonie, d.h. mehr Autonomie. Auch wurde eine Vereinigung der vier südafrikanischen Kolonien angestrebt. Die Inder fürchteten nun, daß unter solchen Bedingungen ihre Lage noch schlimmer würde.
Daher reisten im Sommer 1909 sowohl Gandhi als auch ein Vertreter der indischen Geschäftsleute nach England, um mit der britischen Regierung direkt zu verhandeln. Gandhi erhoffte von der britischen Regierung konkrete Garantien dafür, daß sich die Lage der Inder im Falle einer Vereinigung der vier südafrikanischen Kolonien nicht verschlechtern würde. Zur selben Zeit reisten auch Smuts und Botha als Vertreter der Buren nach London, um genau das Gegenteil zu bewirken.
In London machte Botha den Indern ein Angebot: Wenn sie den Black Act und den Immigrants Registration Act akzeptierten, würden die kleineren Forderungen der Inder bewilligt werden.
Sheth Haji Habib, der Vertreter der indischen Geschäftsleute in Südafrika, nahm das Angebot der Buren an, Gandhi und eine Minderheit jedoch waren entschlossen, weiterzukämpfen.
Gandhis Entschluß weiterzukämpfen, hatte schwerwiegende Konsequenzen für seine Mitstreiter und für ihn selbst. Es bedeutete zunächst Rückzug in die Isolation. Auf der Rückreise von London nach Südafrika beschloß Gandhi entsprechend, sein Leben, seinen persönlichen Lebensstil noch radikaler zu ändern, als er es ohnehin seit 1906 schon getan hatte. Er gab jetzt seinen Anwaltsberuf endgültig auf, brahmacharya (Keuschheit) und ahimsa (Gewaltlosigkeit) hatte er schon 1906 geschworen, aber jetzt ging er noch einen Schritt weiter. Zusammen mit seinen Anhängern zog er sich in eine Kommune, die er Tolstoy Farm nannte, zurück, um - zusammen mit 10 Frauen und 60 Männern - das einfache Leben zu praktizieren. Diesen neuen Lebensstil hatte Gandhi auf der Rückfahrt von London auf dem Schiff in seiner kleinen Schrift Hind Swaraj niedergelegt.
Auf seiner Tolstoj-Farm versuchte Gandhi, folgende Ideale zu verwirklichen: einfaches Leben, körperliche Arbeit, wirtschaftliche Autarkie der Kleingruppe, durch Sozialdienst zusammengehaltenes Gemeinschaftsleben, harmonisches Zusammenleben aller Religionsgruppen, Einbeziehung der unteren Kasten einschließlich der "Unberührbaren" und der Frauen im Geiste der Gleichberechtigung. Bis 1912 lebte Gandhi so zurückgezogen "in der Wüste", auf einem Tiefpunkt seiner politischen Wirksamkeit, als durch das Erscheinen Gokhales, des Führers des Indischen Nationalkongresses, in Südafrika der Kampf neu entfacht wurde und Gandhi noch einmal die Mehrzahl seiner Landsleute mit sich reißen konnte, bis es 1914 zu einer erträglichen Lösung kam.
Wir sehen also, daß Gandhi, als er 1915 nach Indien zurückkehrte, weitgehend schon der fertige Mahatma war. Sowohl seine politischen Methoden als auch seinen Lebensstil setzte er in Indien fort, allerdings jetzt in einem größeren Maßstab: seinen Lebensstil in den Ashrams Sabarmati und Sevagram, seine Methoden in den großen Kampagnen von 1920-22 und 1930-34.